Das wird immer ein schwarzer Tag in der Geschichte der Stadt Chemnitz bleiben, der 27. Mai 1916, in dem die Fäuste der Natur mit hartem Griff unsere Schloßteichanlagen, die Perle der Stadt, die Erholungsstätte unserer Bevölkerung und den Anziehungspunkt für die Fremden mit rauher Gewalt verwüstet und unermeßlichen Schaden auch in der Umgebung angerichtet haben. In ein paar Minuten zerstörte und vernichtete die Natur, was sie in Jahrhunderten aus der Erde emporsprießen ließ und was Menschenhände in jahrelanger Arbeit geschaffen haben.
Lachend und strahlend stand am Nachmittag des verhängnisvollen Sonnabends die Sonne am blauen Firmament. Da plötzlich gegen 5 Uhr ballten sich die Wolken zusammen und bald war Chemnitz in eine Dämmerung gehüllt, die immer düsterer wurde, je mehr sich der Zeiger der Uhr der sechsten Abendstunde näherte. Es war wie eine Drohung; die Gott sei Dank beherzigt wurde: die Menschen, die das prächtige Wetter des Nachmittags ins Freie gelockt hatte, eilten ihren schützenden Behausungen zu und dem ist es wohl zu verdanken, daß das Unglück keine Menschenleben forderte. Das ist der einzige Trost in dieser Katastrophe der Windhose des 27. Mai 1916.
Die Katastrophe vom 27. Mai trug alle charakterlichen Merkmale einer schweren Windhose. Ungewöhnlich rasch und tief ziehende Wolkengebilde, die durch fahlgelbe Farbe auffielen, verdichteten sich und schienen sich, etwas westlich von dem Schloßteich, plötzlich auf die Erde zu senken, worauf eine rasend schnelle Luftbewegung spiralförmig nach oben sich ausbreitete. Die Erscheinung machte von weitem den Eindruck eines gewaltigen Brandes. Die Wolke, in der man eine gewaltige aufsteigende Rauchsäule zu erkennen glaubte, hielt sich minutenlang in der Luft auf der gleichen Stelle, während Staub und allerhand Gegenstände, wie zersplitterte Dachbalken, starke Äste von Bäumen, Teile von Dächern, Ziegeln, Leitungsdrähte usw. in einer Höhe von vielleicht hundert Metern wild durcheinander gewirbelt wurden. In nicht zu schneller Bewegung setzte die Windhose ihre Richtung nach Westen, ihre Richtung offenbar in vertikaler Richtung ausübend.
Die Spaziergänger, die von der Wettersäule überrascht waren, haben instinktiv das richtige getan, als sie sich mit dem Körper glatt auf die Erde warfen, um den aufsteigenden Luftwirbel eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten.
Nach übereinstimmenden Berichten von Augenzeugen setzte die Windhose am Westabhänge des Kaßberges ein, hier wurden zunächst nur Fensterscheiben zertrümmert und Bäume stark beschädigt. Mit umso größerer Gewalt wütete sie am Schloßteiche. Das Glasdach über dem Lokomotivbau der Sächsischen Maschinenfabrik wurde fortgefegt und eine umfangreiche Anpflanzung von prächtigen Rot- und Weißdornen, die gerade in voller Blüte stand und eine Zierde der Gegend bildete, wurde umgefegt; wie hingemäht lagen die Bäume an der Straße entlang. Ungeheure Verwüstungen wurden in den herrlichen Schloßteichanlagen, dem Juwel von Chemnitz, angerichtet. In den herrlichen Anlagen wurden riesige alte, sturmerprobte Baumriesen entwurzelt, zersplittert, wie Streichhölzer umgeknickt oder der Kronen beraubt. Das Herz könnte einem bluten, wenn man sieht, wie in wenigen Minuten die Pracht der Anlagen vernichtet wurden. Wüst und wirr lagen die Bäume durcheinander, der schöne schattige Garten des Schloßteichrestaurants glich einem Trümmerfelde, er war übersät von umgerissenen Bäumen, herabgerissenen Ästen, umgestürzten Lichtmasten und einem Durcheinander von Tischen und Stühlen und das Gebäude machte den Eindruck, als ob es unter Bäumen begraben sei.
Vom Schloßteiche warf sich der Wirbelwind auf das städtische Elektrizitätswerk. Das Kupferdach wurde zum dritten Teile abgerissen, die riesigen Kupferplatten wurden wie Papierfetzen durch die Luft gewirbelt und zerknüllt und zusammengeballt fand man die einzelnen Stücke über die ganze Umgebung verstreut; zwei große Platten wurden beispielsweise in einem über 700 m entfernten Bauernhofe wieder aufgefunden.
Ein Wasserturm der Kühlanlage wurde eingerissen und viele Oberlichtfenster eingeschlagen. Durch eindringendes Wasser wurde der Betrieb gestört und es entstand Kurzschluß. Die Wagen der Straßenbahn blieben in den Straßen stehen, die Beleuchtung versagte und die Theater und Kinos konnten infolgedessen nicht spielen.
Vom Elektrizitätswerke aus nahm die Windhose ihren Weg nach Furth, wobei an zahlreichen Gebäuden großer Schaden angerichtet und etwa 80 Bäume und viele Laternen umgerissen wurden. Am allerschlimmsten mitgenommen wurde das bekannte Vergnügungslokal "Tiergarten Scheibe". Die riesigen Bäume des schönen schattigen Gartens liegen abgeschlagen am Boden. Zwischen dem Gewirr von Baumkronen, Zweigen und Bretterplanken liegt das große Kupferdach des Musikpavillons, ferner die Steine einer Esse, die im Nachbargrundstücke umgeweht wurde.
Der Außenbahnhof in Furth war das letzte Angriffsobjekt der Windhose. Hier wurden die Dächer der beiden Heizhäuser abgedeckt und auch sonst schwerer Schaden angerichtet. Mehrere Heizhausarbeiter erlitten durch umherfliegende Glassplitter Verletzungen.
Der gesamte durch die Windhose angerichtete Materialschaden in Chemnitz dürfte sich auf 1 500 000 bis 2 000 000 Mk. belaufen. Dankbar müssen wir aber dennoch dem Himmel sein, daß, abgesehen von einigen Verletzungen, kein Menschenleben bei der furchtbaren Katastrophe zu beklagen ist.